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22.-23. November 2021
2021-11-22 12:00:00
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Sind Sie sicher?

Was Sie vom Impro­vi­sa­ti­ons­thea­ter für die psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit in ihrer Orga­ni­sa­ti­on ler­nen können
Autor: Mar­tin A. Ciesielski

Kann es sie über­haupt geben, die angst­freie Orga­ni­sa­ti­on? In Zei­ten des Kli­ma­wan­dels, des digi­ta­len Wan­dels, #VUCA­ro­na und Co.?

Vie­le Füh­rungs­kräf­te und Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter wis­sen mitt­ler­wei­le um die Bedeu­tung des Akro­nyms VUCA: Wir leben in vola­ti­len, unsi­che­ren, kom­ple­xen (com­plex) und mehr­deu­ti­gen (ambi­guous) Zei­ten. Doch das bedeu­tet, es geht nicht allein dar­um, sich und die eige­ne Orga­ni­sa­ti­on durch hoch­kom­ple­xe Zusam­men­hän­ge zu steu­ern. Die Kom­ple­xi­tät ist noch um eine hohe Dyna­mik, Mehr­deu­tig­kei­ten und Unsi­cher­hei­ten ange­rei­chert! Das bedeu­tet letzt­end­lich, dass wir sogar in chao­ti­schen Zei­ten leben! Was kann es Schreck­li­che­res für eine Orga­ni­sa­ti­on geben, die auf Plan­bar­kei­ten, Rou­ti­nen (in glei­cher Qua­li­tät wie­der­hol­ba­rer Pro­zes­se) und somit Sicher­hei­ten basiert?

Doch das eigent­li­che Pro­blem ist nicht das Cha­os, son­dern unse­re Vor­stel­lun­gen davon. Wäh­rend wir nor­ma­ler­wei­se Cha­os als den Gegen­satz von Ord­nung und Plan­bar­keit sehen, möch­te ich an die­ser Stel­le für ein Cha­os-Ver­ständ­nis plä­die­ren, das Cha­os als eine höhe­re Form der Ord­nung betrachtet.

Ich erin­ne­re mich noch immer mit gro­ßer Freu­de dar­an, als ich vor eini­gen Jah­ren einen mei­ner Mit­spie­ler auf der Impro­vi­sa­ti­ons­thea­ter­büh­ne frag­te, was er noch so arbei­tet. Dar­auf­hin erklär­te er mir, dass er als Mathe­ma­ti­ker für einen gro­ßen Rück­ver­si­che­rer in Mün­chen tätig ist. Natür­lich wur­de ich dar­auf­hin noch neu­gie­ri­ger und frag­te, was ihn mit die­sem Hin­ter­grund am Impro-Thea­ter rei­zen wür­de. Dar­auf­hin ent­geg­ne­te er: Impro­vi­sa­ti­ons­thea­ter sei für ihn eine ande­re Mög­lich­keit zur Erfor­schung von chao­ti­schen, sozia­len Sys­te­men. Heu­te wür­de man wohl eher sogar von quan­ten­me­cha­ni­schen Zusam­men­hän­gen sprechen.

Schau­en wir uns das Bei­spiel des Impro­vi­sa­ti­ons­thea­ters also ein­mal ein wenig genau­er an: Dort ste­hen Spie­le­rin­nen und Spie­ler auf einer lee­ren Büh­ne, das heißt sie agie­ren unter Unsi­cher­heit. Sie holen sich Inspi­ra­tio­nen und Ideen vom Publi­kum (Kunde/Markt) und pro­du­zie­ren dann die Sze­nen, die Figu­ren und Geschich­ten (Service/Produkt). Dabei gehen sie in meh­re­re Rich­tun­gen Kom­pli­zen­schaf­ten ein: Mit sich selbst, mit den Mit­spie­le­rin­nen und Mit­spie­lern sowie mit dem Publi­kum. Sie beob­ach­ten also sich selbst, in der Inter­ak­ti­on mit den ande­ren, in stän­di­gem Abgleich mit den Publi­kums­re­ak­tio­nen (Big Data at its best!). Die­se Reak­tio­nen des Publi­kums kön­nen ent­we­der sehr expli­zit sein, indem man sich kon­kre­te Ideen abholt oder sie kön­nen mehr oder weni­ger wahr­nehm­bar in der Luft lie­gen (Seuf­zer, Atem­ge­räu­sche, Klat­schen, Jubel etc.).

Es geht beim siche­ren Zusam­men­spiel auf der Büh­ne unter Unsi­cher­heit zunächst also um eine hohe Auf­merk­sam­keit für­ein­an­der. Eine Auf­merk­sam­keit die mit Akzep­tanz gekop­pelt ist, d.h., alles, was als Infor­ma­tio­nen wahr­ge­nom­men wird, wird zunächst ein­mal als rele­vant und wich­tig akzep­tiert. Im Impro-Sprech: „Alles ist ein Ange­bot!“ Dies wird kom­bi­niert durch ein zen­tra­les Leit­prin­zip: „Lass die ande­ren gut aus­se­hen!“ Was auch immer vom Publi­kum kommt – es wird als eine genia­le Idee, einen bril­lan­ten Impuls gefei­ert (Kun­de ist König gilt hier ohne wenn und aber!). Das Glei­che gilt für die Impul­se und Ideen der Mit­spie­le­rin­nen und Mit­spie­ler. So wer­den gesun­de, humor­vol­le Bezie­hun­gen zuein­an­der aufgebaut.
Nur so kann es funk­tio­nie­ren, dass auch die eige­nen Ideen und Impul­se, die dar­auf­hin asso­zi­iert und aus­ge­spielt wer­den ihrer­seits ange­nom­men und grö­ßer gemacht wer­den (Yes, and!-Regel). Das Aus­spie­len selbst ist das vier­te und letz­te Ele­ment der soge­nann­ten vier Asse der Impro­vi­sa­ti­on (Auf­merk­sam­keit, Akzep­tanz, Asso­zia­ti­on und Aus­druck).

Um die­se vier Asses dre­hen sich im Wesent­li­chen auch alle Übun­gen, Spie­le und Pro­ben, die Impro­vi­sa­ti­ons­thea­ter­spie­ler zwi­schen ihren Auf­trit­ten absol­vie­ren. Die Pro­ben und die wie­der­hol­ten Auf­trit­te sor­gen dafür, dass das not­wen­di­ge Ver­trau­en in- und für­ein­an­der ent­steht, um unter Unsi­cher­heit das sehr vola­ti­le und hoch­kom­ple­xe Zusam­men­spiel mit all den mehr­deu­ti­gen Ange­bo­ten auf der Büh­ne zum Erfolg zu führen!

Was heißt das nun für eine Orga­ni­sa­ti­on, die psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit anstrebt?
In aller Kürze:

  • Schaf­fen sie Pro­ben­räu­me für Social Pro­to­typ­ing-Ses­si­ons
    (Wie wol­len wir zusammenarbeiten?
    Wel­che Leit­prin­zi­pi­en und Regeln wol­len wir uns dafür geben?))
  • Wie steht es um die Auf­merk­sam­keit der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter in ihrer Orga­ni­sa­ti­on für­ein­an­der und für die Kun­den (Füh­len sie sich gese­hen? Wie wer­den die Bezie­hungs­ebe­nen gepflegt?)
  • Wie kön­nen die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen besser/schneller in eine Akzep­tanz der Umstän­de kom­men, mit denen gear­bei­tet wer­den kann/muss? (Akzep­tanz ist übri­gens auch ein zen­tra­ler Resilienzfaktor!)
  • Wie erhö­hen Sie ihr eige­nes Assoziations‑, Vor­stel­lungs- und Ima­gi­na­ti­ons­ver­mö­gen und ggf. auch das der ande­ren Men­schen in ihrer Orga­ni­sa­ti­on (einen span­nen­den Ansatz dazu bie­tet u.a. die Futures Literacy)?
  • Es braucht schnel­le Pro­to­ty­pen von Lösun­gen, Ser­vices und Pro­duk­ten, um so schnell wie mög­lich in Akti­on, ins Doing zu kom­men. Wie kön­nen sie das Akti­ons-Niveau, die Respon­si­vi­tät und Agi­li­tät (noch) erhö­hen?
  • Wie steht es um den Humor in ihrer Orga­ni­sa­ti­on? Wenn der Grad an Zynis­mus nicht durch die Decke gehen soll (was eher kon­tra­pro­duk­tiv für die Angst­frei­heit und psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit ist), dann soll­ten sie viel Wert auf einen gesun­den Humor legen, bei dem sich Men­schen eher über ihre eige­nen Ver­feh­lun­gen lus­tig machen und somit früh­zei­tig Trans­pa­renz über (mög­li­che) Pro­blem­fel­der schaf­fen, als dass sich über die Feh­ler der ande­ren lus­tig gemacht wird. Beim Impro lacht man zusam­men über das gemein­sa­me Schei­tern – und freut sich über den gemein­sa­men Erfolg!

Über den Autor:
Mar­tin A. Cie­siel­ski ist Ban­ker und Clown. Er arbei­tet als (Team-)Coach, Bera­ter und Trai­ner für ange­wand­te und orga­ni­sa­tio­na­le Impro­vi­sa­ti­on. Er lebt und spielt in Berlin.

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