
Flexibilität erhöht auch die Komplexität – wie viel möchte und kann sich die Organisation zutrauen?
Autorin: Petra Raspels, Partner und Head of People & Organisation bei PwC Deutschland und Europa
Welche Arbeitsmodelle wünschen sich Beschäftigte mehrheitlich? Welche neuen Herausforderungen bedeutet flexibles Arbeiten für Führungskräfte? Petra Raspels, Partner und Head of People & Organisation bei PwC Deutschland und Europa, beantwortet diese und weitere Fragen – und weist auf häufig vernachlässigte Aspekte von New Work hin.
COVID-19 war ein Praxistest für flexiblere Arbeitsmodelle, Stichwort New Work. Ist es damit getan, einfach diejenigen ins Homeoffice zu schicken, die das möchten?
Petra Raspels: Sicher nicht. Zunächst: Die meisten Beschäftigten wünschen sich eindeutig mehr Flexibilität. Das betrifft den Arbeitsort und die Arbeitszeiten. Unsere Studien zeigen, dass etwa 10 Prozent der Beschäftigten ausschließlich ins Büro kommen wollen, fast genauso viele möchten nur noch von zuhause aus arbeiten. Der Großteil bevorzugt hybride Modelle.
Wie lassen sich die unterschiedlichen Wünsche der Beschäftigten in Einklang bringen?
Es gibt kein Patentrezept. Junge Eltern haben andere Bedürfnisse als Ältere. Organisationen und einzelne Teams sollten kollaborativ ein passendes Modell entwickeln. Wofür brauche ich unbedingt Präsenz, was lässt sich virtuell erledigen? Grundsätzlich kann alles gut funktionieren. Das Modell sollte aber alle Interessen berücksichtigen – die der Beschäftigten, die der Arbeitgeber und, nicht zu vergessen, die der Kunden.
Flexibilität in diesem Sinne stellt neue Anforderungen an Führungskräfte. Welche möchten Sie betonen?
Petra Raspels: Zum einen: Wie können Führungskräfte auch bei mehr virtueller Zusammenarbeit den Teamgedanken stärken und die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden sicherstellen? Diese Fragen stellen sich bei hybriden Modellen neu.
Und zum anderen?
Flexibilität ist wunderbar, findet aber nicht im rechtsfreien Raum statt. Dass jemand beispielsweise lieber abends um neun noch arbeitet, dafür nachmittags frei hat, finde ich unproblematisch. Werden regelmäßig nachts um drei noch E‑Mails verschickt, sollten Führungskräfte hinterfragen, was sie selbst vorleben und Abhilfe schaffen.
Nach der COVID-19-Ausnahmesituation haben Vorgesetzte mitunter auf Präsenz bestanden, sobald das wieder möglich war. Was halten Sie davon?
Ein Führungsstil, der die Bedürfnisse nach mehr örtlicher und zeitlicher Flexibilität vernachlässigt, ist sicher nicht nachhaltig. Massiver Fachkräftemangel, Kampf um Talente – da werden Arbeitgeberattraktivität und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden immer wichtiger. Selbstverständlich gilt aber ein Weisungsrecht des Arbeitgebers, das jedoch angemessen zu nutzen ist.
New Work bedeutet auch neue Herausforderungen für Beschäftigte. Schließlich ändern sich Jobprofile – und manche Jobs werden künftig ganz durch Automatisierung ersetzt …
Ein sehr spannendes Thema. Digitalisierung und Automatisierung haben fraglos den Druck auf die Workforce erhöht, sich zukunftsgerichtete Fähigkeiten anzueignen.
Welche sind das?
Sicherlich wird der Umgang mit Technologie, insbesondere mit großen Datenmengen, künftig immer wichtiger werden. Wir müssen zwar nicht alle Coder werden. Aber so, wie wir dem Umgang mit Office-Programmen gelernt haben, werden wir alle zumindest ein Grundverständnis von Technologie und Daten brauchen. Ich möchte aber noch einen Aspekt betonen.
Welchen?
Eine unterschätzte, aber sehr wichtige Fähigkeit ist Resilienz. Wie kann ich fokussiert und effizient arbeiten, obwohl ständig neue E‑Mails oder Chatnachrichten aufploppen? Es geht ums geistige und körperliche Wohlergehen, neudeutsch Well-Being, und die nachhaltige Freude am Arbeiten – auch im Hinblick darauf, dass immer mehr Menschen nicht mehr die 67 Jahre als absolutes Ende ihres Erwerbslebens sehen.
Sie liefern das Stichwort. Wie schaffen es Organisationen – auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel –, das enorme Erfahrungswissen älterer Beschäftigter effektiv zu nutzen?
Ich bin Verfechterin von Reverse-Mentoring-Modellen, bei denen jüngere und ältere Beschäftigte ihre Erfahrungen austauschen. Jüngeren mag tendenziell der Zugang zu neuen Technologien etwas leichter fallen. Wie ein Geschäftsfeld funktioniert, wissen häufig Ältere besser. Beide Seiten können vom wechselseitigen Wissenstransfer stark profitieren.
Wie meinen Sie das?
Unternehmen können dank der Digitalisierung potenziell Menschen auf der ganzen Welt beschäftigen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn vielfach unterschätzen Organisationen den administrativen Aufwand und Compliance-Fragen. Flexibilität erhöht auch die Komplexität – wie viel möchte und kann sich die Organisation zutrauen? Flexibilität hat teils sehr klare Grenzen.
Woran denken Sie konkret?
Können Mitarbeitende eines in Deutschland ansässigen Unternehmens etwa über längere Zeit von den USA oder Südafrika aus arbeiten, dann mag das für sie und potenzielle Bewerber:innen sehr attraktiv sein. Aber: Welche steuerlichen oder sozial- versicherungsrechtlichen Fragen gilt es bspw. zu klären? Wie steht es um Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis? Entstehen unbemerkt Betriebsstätten in dem anderen Land – und damit auch steuerliche Verpflichtungen?
Ihre Empfehlung?
Ich kann nur davor warnen, Compliance-Fragen außer Acht zu lassen. Verstöße können empfindliche Folgen haben – von der Ordnungswidrigkeit bis hin zum Straftatbestand, im schlimmsten Fall mit persönlicher Haftung der Geschäftsführung. Hier gilt es, genau hinzuschauen. Es lässt sich alles regeln. Aber die Frage, in welchem Verhältnis Aufwand und Nutzen für sie stehen, müssen Unternehmen sehr klar beantworten.