
Psychologische Sicherheit – der Erfolgsfaktor Nr. 1 für Teams
Autorin: Dr. ina Goller, Skillsgarden AG
Viele mögen sich noch an die Zeit erinnern, als Nokia im Bereich der Mobiltelefonie den Markt dominierte: Jahrzehntelang verkaufte das Unternehmen hunderte von Milliarden Mobiltelefone und besass 2007 eine Marktkapitalisierung von 110 Milliarden Euro. 5 Jahre später brach diese Zahl mit dem Aufstieg von Apple und Google überraschend auf 15.8 Milliarden Euro zusammen. Die Gründe für den tiefen Fall des Giganten Nokia sind vielfältig. Die Hauptpunkte, welche häufig angesprochen werden, sind: Der Fokus auf falsche Strategien, schlechte Visionen und unzureichende Führung. Ein anderer Punkt, welcher weniger oft Beachtung findet, ist das Klima in der Organisation, welches das Versagen von Nokia förderte. Stimmen, die die damalige Ausrichtung der Organisation in Frage stellten, wurden ignoriert; das kritische Hinterfragen des Status Quo sogar sanktioniert. Diese Vorgehensweise führte dazu, dass Führungskräfte des mittleren Managements das potenzielle Risiko durch die Konkurrenz Apple und Google nicht an das Top-Management kommunizierten. Die Organisation machte sich selbst mundtot und nahm sich damit die Chance gegenüber der aufsteigenden Marktkonkurrenz zu bestehen. Das Klima, welches damals in der Organisation herrschte, könnte man als angstbesetzt beschreiben oder als fehlende Psychologischen Sicherheit.
Psychologische Sicherheit – was es ist und weshalb man ihr mehr Aufmerksamkeit schenken sollte
Psychologische Sicherheit bedeutet, dass im Team die Überzeugung vorherrscht, dass jede*r seine Meinung in der Form von beispielsweise Kritik oder Feedback aussprechen kann, ohne damit ein persönliches Risiko einzugehen, anschliessend im Team gebrandmarkt zu werden.
Das Konzept der Psychologischen Sicherheit wurde durch die Forschungsarbeiten von Amy Edmondson geprägt. Eine Studie von Google konnte dieses Konzept dann als den wesentlichen Faktor für Teamerfolg bestätigen und sorgte für eine grosse Verbreitung.
Als Google im Jahre 2016 die Ergebnisse ihrer intern durchgeführten Studie namens «Aristoteles» öffentlich machte, zeigte sich, welchen eindrücklichen Einfluss Psychologische Sicherheit auf das Arbeitsgeschehen eines Teams hat. Besonders überraschend für die Initiatoren der Studie war die Erkenntnis, dass sich psychologische Sicherheit als match-entscheidender Faktor für den Erfolg von Teams herausstellte. Damit wurde der Mythos widerlegt, dass individuelle Persönlichkeitsfaktoren von Teammitgliedern einen zentralen Einfluss haben. Es ist somit nicht wesentlich, wer im Team zusammenarbeitet, sondern wie die Teammitglieder zusammenarbeiten. Will eine Unternehmung oder Führungskraft erfolgreiche Teams aufbauen, sollte sie den Fokus somit auf das gelebte Verhalten der Teammitglieder legen und bisherige Traditionen, Verhaltensstandards und ungeschriebene Regeln, wie soziale Normen, überprüfen und ändern. Persönlichkeitsfaktoren von anderen Teammitgliedern zu kennen, kann hilfreich sein, um bestimmte Präferenzen im Handeln zu verstehen. Es führt leider oft genug nur zu einer Verstärkung von Vorurteilen.
Verhaltensweisen, die die Psychologische Sicherheit fördern, sind:
- Jeder äussert seine Meinung (Voice). Damit ist gemeint, dass jeder in Teammeetings seine Stimme einbringt und somit zu einem sinnvollen Wissensaustausch und einer Risikoeinschätzung beiträgt
- Jeder spricht ungefähr gleichviel. Auch diese Mindestanforderung bezieht sich auf Teammeetings und gemeinschaftliche Kommunikationssituationen. Hier soll der Fokus darin liegen, dass jeder seinen Beitrag in Diskussionen einbringt und nicht nur die üblichen Meinungsführer*innen.
- Fehler zugeben und ansprechen / Feedback. Ein Lernprozess im Team kann nur dann stattfinden, wenn Fehler öffentlich geteilt werden und klar wird, was ein Fehler ist. Nur wenn diese gemeinsam verarbeitet werden, kann verhindert werden, dass die gleichen Fehler innerhalb eines Teams gemacht werden und alle Mitglieder daraus lernen können.
Alle drei beschriebenen Verhaltensweisen ermöglichen eine bessere Kommunikation im Team und führen damit zu einem höheren Wissensaustausch. Sie fördern die Kreativität und ermöglichen dem Team, die Innovationsfähigkeit zu steigern. Zudem wird das Engagement für die eigene Arbeit und Lernen auf fachlicher wie auch persönlicher Ebene gefördert. Eine weitere positive Begleiterscheinung ist, dass Kennzahlen zu Arbeitsstress, Krankheitstagen und Fluktuation bei einer hohen Psychologischen Sicherheit tiefer ausfallen. Zwischenmenschliche „Herausforderungen“, wie z. B. bei geografisch-diversen Teams, zwischenmenschliche Konflikte, die Akzeptanz von Vielfalt, können viel besser angegangen und überwunden werden. Wenn schwierige Themen auf den Tisch kommen und nicht zu Scherbenhaufen, sondern zu tragfähigen Lösungen führt, können alle Beteiligten nur gewinnen. Letztlich führt dies zu einer erhöhten Effektivität, zu höherer Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit und damit auch zu einem höheren finanziellen Ertrag. All das, was Nokia beim Übergang ins Smartphone-Zeitalter so dringend gebraucht hätte.
Das Problem in der Praxis…
In der Wirtschaftswelt finden sich leider trotz der eindrücklichen wissenschaftlichen Erkenntnisse immer wieder Beispiele, die zeigen, wie sehr dieses Konzept trotz seiner Wichtigkeit unterschätzt und vernachlässigt wird. Besonders in Unternehmungen mit stark ausgeprägter Hierarchie wird oftmals eine Kultur des Schweigens gelebt. Das Beispiel von Nokia zeigt, dass eine tiefe Psychologische Sicherheit verheerende Folgen haben kann. Das Verhalten des Managements hatte zur Folge, dass Mitarbeitende ihre Stimme nicht mehr erheben wollten. Somit gingen viele wichtige Informationen verloren, wie man sich weiter von der Konkurrenz hätte abheben können. Diese Form der Kommunikation von Ideen, Vorschlägen, Bedenken oder Meinungen zu Problemen, wird im Englischen mit «voice» beschrieben.
Unwissenheit ist vermutlich ein weiterer Grund, warum Psychologische Sicherheit nicht aktiv vorangetrieben wird. Häufig zeigt sich dies in dem Vorurteil, dass mit Psychologischer Sicherheit übertriebene und floskelhafte Nächstenliebe im Team gemeint ist. Hier liegt ein grundlegender Irrtum vor. In psychologisch sicheren Teams können Teammitglieder sehr wohl schwierige, spannungsreiche Themen ansprechen. Jedoch geschieht dies, ohne andere bloss zu stellen oder selbst bloss gestellt zu werden. Psychologische Sicherheit bietet die Grundlage, Reibungspunkte, Fehler oder Schwachpunkte anzusprechen und passende Lösungen dafür zu finden.
Ein weiterer Grund vor dem Konzept zurückzuschrecken, könnte eine Voraussetzung sein, ohne die es nicht geht. Die Einführung von Psychologischer Sicherheit muss mit einer Änderung des Verhaltens einhergehen; Ausnahmslos jede*r ist davon betroffen, Führungskräfte ebenso wie Teammitglieder. Wir stehen an dem Punkt, dass wir etwas Neues ausprobieren müssen, doch wie machen wir das?
Wie bauen wir Psychologische Sicherheit auf?
Um Psychologische Sicherheit in einem Team oder einer Organisation aufzubauen und zu entwickeln, benötigt man neben einem grundlegenden Verständnis des Konzeptes zwei weitere Elemente: Messung und Training.
Ein grosser Vorteil im Vergleich zu anderen Konzepten ist, dass sich Psychologische Sicherheit recht einfach in der Praxis messen lassen kann. Wo genau ein Team steht, lässt sich mit dem von Amy Edmondson entwickelten Fragebogen unkompliziert erfassen (www.fearlessorganization.com ). Dieser kann in kurzer Zeit durch die einzelnen Mitarbeitenden eigenständig ausgefüllt werden. Im Anschluss sollten die Ergebnisse (anonymisiert) im Team besprochen werden. Wichtig ist dabei, dass nicht nur das absolute Ergebnis zählt. Bedeutsamer ist die Auseinandersetzung des Teams mit der Thematik, mit dem Ziel eine gemeinsame Sichtweise zu schaffen. Mit der Messung können zudem Stärken erkannt und Entwicklungsfelder identifiziert werden.
Der erste Schritt in Richtung Psychologische Sicherheit
Wie so oft beginnt der erste Schritt mit einem Blick in den Spiegel. Unser Tipp: denken Sie über ihr eigenes Verhalten im Team oder als Führungskraft nach. Wo tragen Sie zu mehr Psychologischer Sicherheit in ihrem Team bei und wo (noch) nicht? Beobachten Sie die Interaktionen mit den Teammitgliedern und wie untereinander reagiert wird, wenn Sie ihre Stimme erheben. Erzählen Sie anderen von Psychologischer Sicherheit und beobachten Sie, wo es bereits funktioniert und was Sie aus den positiven Beispielen lernen können.
Schenken Sie sich und Ihrem Team die Freiheit, Neues zu entdecken, zu lernen und gemeinsam zu wachsen. Verlassen Sie die gewohnten Pfade und schaffen Sie Raum für Neues. Seien Sie sich bewusst, dass Sie und Ihr Team auf dem Weg zu mehr Psychologischer Sicherheit Fehler machen werden. Es ist ein gutes Zeichen dafür, solche Fehler zu entdecken und daraus zu lernen. Es lohnt sich diesen Weg zu einer leistungsfähigeren Zusammenarbeit zu beginnen; auch wenn Sie nicht das Geschäft eines Telefonproduzenten retten wollen.
Weitere Informationen zur Psychologischen Sicherheit, dem Trainingsprogramm sowie 24 Übungen finden Sie auf der folgenden Webseite: www.psych-safety.org oder unter skillsgarden.ch.
Literaturempfehlungen
Edmondson, A. C. (2018). The fearless organization: Creating psychological safety in the workplace for learning, innovation, and growth. John Wiley & Sons
Goller, I. & Laufer, T. (2018). Psychologische Sicherheit in Unternehmen – Wie Hochleistungsteams wirklich funktionieren. Springer Verlag.
Referenzen
Duhigg, C. (2016). What Google learned from its quest to build the perfect team. The New York Times Magazine, 26, 2016.
Edmondson, A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative science quarterly, 44(2), 350–383.
Edmondson, A. C. (2018). The fearless organization: Creating psychological safety in the workplace for learning, innovation, and growth. John Wiley & Sons.
Milliken, F. J., Morrison, E. W., & Hewlin, P. F. (2003). An exploratory study of employee silence: Issues that employees don’t communicate upward and why. Journal of management studies, 40(6), 1453–1476.
Hadyn, S. (2013) Apple’s Rise and Nokia’s Fall Highlight Platform Strategy Essentials. Abgerufen am 09. November 2021 von https://www.forbes.com/sites/haydnshaughnessy/2013/03/08/apples-rise-and-nokias-fall-highlight-platform-strategy-essentials/?sh=2c94e58c6e9a